Das Andere Amerika

Die USA im Filmbild der DDR

Die Reihe wirft Schlaglichter auf markante Kinomomente einer Fernbeziehung, in der ein notorisches Ungleichgewicht herrschte: Während „East Germany“ den meisten US-Amerikaner:innen ein ferner blinder Fleck blieb, prägten USA-Bilder Alltagskultur und politische Rhetorik in der DDR kaum weniger nachhaltig als in der BRD. US-amerikanische Filme erfuhren jedoch in der DDR eine andere Rezeption als im Westen, wurden exemplarischer verhandelt und polemischer verurteilt, aber oft auch ernster genommen, indem sie nie als „bloße Unterhaltung“ durchgingen. Hollywood war suspekt, aber mächtig und stand bisweilen auch auf der richtigen Seite.

„Das Andere Amerika” war eine in der Filmpublizistik der DDR gängige Formel, mit der US-amerikanische Filme oder Persönlichkeiten gemeint waren, die man als „progressiv“ einschätzte, weil sie „internationalistisches“ Engagement zeigten oder in den USA als Dissident:innen galten. Aber die Formel spiegelt auch eine Ambivalenz wider, die in zahlreichen DEFA-Filmen Ausdruck fand: Stand Amerika einerseits für den ultimativen Feind, war ein anderes, besseres Amerika andererseits die ultimative Utopie.

Durch das Programm ziehen sich zwei rote Fäden. In den ersten vier Filmen spielen die dramaturgischen Elemente des Gerichtsprozesses – Verhör, Beweisaufnahme, Schuldfrage, Urteil – eine gestaltende Rolle. Die folgenden drei Filme verbindet neben einer romantischen, aber bereits enttäuschten Sehnsucht die zentrale Bedeutung von Landschaften als Projektionsflächen und Inszenierungsorte, wobei in keinem der Filme die gezeigte Landschaft die gemeinte ist.

Die Filmreihe wurde zusammengestellt von dem freien Kurator Tobias Hering.

Donnerstag  21.09.2023

20:30 Uhr

FURY

USA 1936. R: Fritz Lang. D: Sylvia Sidney, Spencer Tracy, Walter Abel. 89 Min. 35mm. engl. OF
Original English version
Einführung: Tobias Hering
Filmreihe: Das Andere Amerika – Die USA im Filmbild der DDR

Die Wiederaneignung der Filme des Emigranten Fritz Lang in den 1960er Jahren fand auch in der DDR statt. Ein vom Staatlichen Filmarchiv der DDR 1964 für die Filmclubs zusammengestellter „Fritz-Lang-Zyklus“ legte den Akzent auf den „kritischen Realisten Fritz Lang“. Sein erster im Exil gedrehter Film, FURY, galt dabei als richtungsweisender Wendepunkt. „Mit kritisch geschärften Augen legte der Emigrant aus dem faschistischen Deutschland gleich in seinem ersten amerikanischen Film den Finger auf eine Wunde der amerikanischen Demokratie: die Lynchjustiz.“ (Rudolf Freund in Film 64)

Freitag  22.09.2023

17:30 Uhr

POINT OF ORDER

USA 1964. R: Emile de Antonio. Dokumentarfilm. 97 Min. 16mm. engl. OF
Original English version
Einführung: Tobias Hering
Filmreihe: Das Andere Amerika – Die USA im Filmbild der DDR

Als radikaler Kritiker des politischen Establishments der USA hatte Emile de Antonio eine lange und produktive Beziehung mit DDR-Filminstitutionen, insbesondere mit der Leipziger Dokumentarfilmwoche, wo fast alle seine Mythen sprengenden Filme gezeigt wurden. Seinen ersten Besuch in Leipzig hatte de Antonio 1966 mit POINT OF ORDER, einem der ersten abendfüllenden Filme, die ausschließlich aus Fernseharchiv-Bildern montiert sind, und zwar von den legendären „Senate Army – McCarthy hearings“, einem TV-Tribunal, in dem der berüchtigte Kommunisten-Jäger Joseph McCarthy vor einem Untersuchungsausschuss selbst Rede und Antwort stehen muss.

Samstag  23.09.2023

14:30 Uhr

PILOTEN IM PYJAMA TEIL 1: YES, SIR & TEIL 2: HILTON-HANOI

PILOTEN IM PYJAMA Teil 1: Yes, Sir
DDR 1968. R: Walter Heynowski, Gerhard Scheumann. Dokumentarfilm. 68 Min. DCP. engl. Fassung
PILOTEN IM PYJAMA Teil 2: Hilton-Hanoi
DDR 1968. R: Walter Heynowski, Gerhard Scheumann. Dokumentarfilm. 62 Min. DCP. DF
Einführung: Tobias Hering
Filmreihe: Das Andere Amerika – Die USA im Filmbild der DDR

PILOTEN IM PYJAMA ist ein Kulminationspunkt der investigativen Filme von Walter Heynowski und Gerhard Scheumann, „zwei der geschicktesten politischen Propagandisten unserer Zeit“ (Amos Vogel in Film as a Subversive Art, 1974). Gespräche mit US-Piloten in vietnamesischer Gefangenschaft legen das menschenverachtende Kalkül der Aggressoren im Vietnamkrieg bloß. Der Film hält sein Publikum zwischen Faszination und Abstoßung, beides genährt sowohl von den Aussagen der Befragten als auch von der Methodik der Filmemacher. Auch ein Besuch einzelner Teile der Serie ist möglich und lohnenswert.

Hinweis: Der Film PILOTEN IM PYJAMA enthält Darstellungen physischer Gewalt, die auf den/die Betrachter*in verstörend wirken könnte.

17:00 Uhr

PILOTEN IM PYJAMA TEIL 3: DER JOB & TEIL 4: DIE DONNERGÖTTER

PILOTEN IM PYJAMA Teil 3: Der Job
DDR 1968. R: Walter Heynowski, Gerhard Scheumann. Dokumentarfilm. 82 Min. DCP. englische Fassung
PILOTEN IM PYJAMA Teil 4: Die Donnergötter
DDR 1968. R: Walter Heynowski, Gerhard Scheumann. Dokumentarfilm. 80 Min. DCP. DF
Einführung: Tobias Hering
Filmreihe: Das Andere Amerika – Die USA im Filmbild der DDR

PILOTEN IM PYJAMA ist ein Kulminationspunkt der investigativen Filme von Walter Heynowski und Gerhard Scheumann, „zwei der geschicktesten politischen Propagandisten unserer Zeit“ (Amos Vogel in Film as a Subversive Art, 1974). Gespräche mit US-Piloten in vietnamesischer Gefangenschaft legen das menschenverachtende Kalkül der Aggressoren im Vietnamkrieg bloß. Der Film hält sein Publikum zwischen Faszination und Abstoßung, beides genährt sowohl von den Aussagen der Befragten als auch von der Methodik der Filmemacher. Auch ein Besuch einzelner Teile der Serie ist möglich und lohnenswert.

Hinweis: Der Film PILOTEN IM PYJAMA enthält Darstellungen physischer Gewalt, die auf den/die Betrachter*in verstörend wirken könnte.

Sonntag  24.09.2023

17:00 Uhr

JUDGEMENT AT NUREMBERG

Urteil von Nürnberg
USA 1961. R: Stanley Kramer. D: Spencer Tracy, Maximilian Schell, Marlene Dietrich. 186 Min. 35mm. OF
Original English version
Einführung: Tobias Hering
Filmreihe: Das Andere Amerika – Die USA im Filmbild der DDR

Kaum ein Hollywood-Regisseur war in der DDR so angesehen wie Stanley Kramer, dessen Filme dort fast alle in die Kinos kamen und auch im Fernsehen ausgestrahlt wurden. Ein Schlüsselerlebnis, nicht nur für die Wertschätzung Kramers, sondern auch für die Vorstellung eines „anderen Amerika“ als möglichem Alliierten, war Kramers frühes Meisterwerk JUDGEMENT IN NUREMBERG. Dem Film lagen die sogenannten Juristenprozesse des Nürnberger NS-Tribunals zugrunde, die hier mit einer Starbesetzung in großes Kino verwandelt wurden. Mit seiner Uraufführung im Dezember 1961 in der (West-)Berliner Kongresshalle wurde der Film auch exemplarisch für das deutsch-deutsche Ringen um das Erbe der Nazizeit.

Dienstag  26.09.2023

18:00 Uhr

BLAUVOGEL

DDR 1979. R: Ulrich Weiß. D: Robin Jaeger, Gabriel Oseciuc, Jutta. Hoffmann. 97 Min. 35mm
Einführung: Fabian Tietke (Filmkritiker und -historiker)
Filmreihe: Das Andere Amerika – Die USA im Filmbild der DDR

BLAUVOGEL ist einer der letzten sogenannten Indianerfilme der DEFA und einer der wenigen ohne den Stardarsteller Gojko Mitic. Er setzt die Tradition der Gegenerzählung aus Sicht der Indigenen fort. Im Mittelpunkt steht jedoch ein englischer Siedlerjunge, der von Irokes:innen entführt und zu einem der ihren gemacht wird. Die Handlung spielt während des französisch-britischen Territorialkriegs rund um die Großen Seen. Wie viele DEFA-Indianerfilme wurde BLAUVOGEL in Bulgarien gedreht, wo auch die Mehrzahl der Personen gecastet wurde, die Indigene spielen. Auch wenn die problematische Praxis des „Redfacing“ zum Einsatz kommt, bemüht sich der Film mit ruhigen, fast ethnographisch anmutenden Szenen des Alltagslebens um einen realistischen Blick auf die Kolonialgeschichte Amerikas. Auf dem Internationalen Festival für Kinder- und Jugendfilme in Gijón wurde BLAUVOGEL seinerzeit mit dem Unicef-Preis ausgezeichnet.

Donnerstag  28.09.2023

20:30 Uhr

CHEYENNE AUTUMN

Cheyenne
USA 1964. R: John Ford. D: Richard Widmark, Carroll Baker, Karl Malden. 151 Min. 35mm. OF
Original English version
Filmreihe: Das Andere Amerika – Die USA im Filmbild der DDR

Mit John Ford tat sich die Filmpublizistik in der DDR lange schwer. Der unbestrittenen Meisterschaft des Regisseurs stand die konservative, oft als reaktionär gewertete Grundhaltung seiner Filme gegenüber. In den Filmclubs und rund um die Zeitschrift Film 64 begann jedoch bereits Mitte der 60er Jahre eine schrittweise Rehabilitation. CHEYENNE AUTUMN nahm dabei eine Schlüsselfunktion ein, denn Fords Epos vom entbehrungsreichen Marsch der Cheyenne zurück in ihr angestammtes Territorium ließ sich als „Versuch der Wiedergutmachung einer Schuld“ verstehen, „die der amerikanische Western – und auch [Ford] selbst – durch die ungerechte und falsche Darstellung des Indianers im Film auf sich genommen hat.“ (Michael Hanisch in Western – Die Entwicklung eines Filmgenres, 1984)

Samstag  30.09.2023

18:00 Uhr

BOCKSHORN

DDR 1984. R: Frank Beyer. D: Jeff Dominiak, Bert Löper, Ðoko Rosic. 103 Min. 35mm.
Einführung: Mariana Ivanova (Akademische Leiterin der DEFA Film Library, Universität Massachusetts Amherst)
Filmreihe: Das Andere Amerika – Die USA im Filmbild der DDR

Frank Beyers Roadmovie BOCKSHORN (Drehbuch: Ulrich Plenzdorf) erzählt von der Odyssee zweier Jungen durch ein herzlos und dekadent gewordenes Fantasieland, das sich unschwer als die zeitgenössischen USA identifizieren lässt. Diese Zuschreibung gelingt nicht zuletzt, weil das DEFA-Team neben Kuba und Bulgarien auch erstmals in den USA drehen konnte. So bebildern die Skyline von Pittsburgh, die Peripherien von New York und Downtown Philadelphia die fiktiven Städte Baan und Prince, in denen Sauly und Mick vergebens nach einem Schutzengel suchen, der ihnen von einem an Dennis Hopper erinnernden Scharlatan gestohlen wurde. In BOCKSHORN finden sowohl ein letztes Aufbegehren gegen einen schon siegreichen Feind, aber auch die Sehnsucht nach einer ideologiefreien Zukunft, in der man Orgien nicht dekadent finden muss, Ausdruck.