Tag der Roma

Heute ist Tag der Roma! Wir feiern heute weder die italienische Hauptstadt noch den Oscar®-prämierten Netflix-Streifen – wobei das Kino natürlich Thema ist – sondern: die größte Minderheit Europas.

»Es ist ein grundlegendes Menschenrecht, Zugang zu seiner eigenen Kultur zu haben.«,

sagt Tímea Junghaus, Kunsthistorikerin aus Ungarn und Kuratorin beim RomArchive, einem einzigartigen Archivprojekt zur Kulturgeschichte der Roma, das vor gut einem Jahr unter www.romarchive.eu online gegangen ist.

Die Idee des Archivs liest sich wie folgt:

„RomArchive, das digitale Archiv der Sinti und Roma*, macht Künste und Kulturen der Sinti und Roma sichtbar und veranschaulicht ihren Beitrag zur europäischen Kulturgeschichte. Durch von Roma und Sinti selbst erzählte Gegengeschichten schafft RomArchive eine im Internet international zugängliche, verlässliche Wissensquelle, die Stereotypen und Vorurteilen mit Fakten begegnet.“

Das umfangreiche Online-Archiv lässt sich über zehn verschiedene Themenbereiche erkunden, die ein internationales Team aus vierzehn Kurator/innen erstellt hat. Tímea Junghans verantwortet den Bereich Bildende Kunst, ihre Kollegin Katalin Bársony, ebenfalls Romni und aus Ungarn, den Bereich Film. Als Geschäftsführerin der in Budapest ansässigen Romedia Foundation entwickelt sie Filme, Social-Media-Kampagnen und Projekte zur Förderung der Selbstrepräsentation der Roma.

Mit Klick zum Video mit Katalin Bársony über die Entstehung des Archivbereichs Film des RomArchive

 

goEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films widmete in seiner jüngsten Ausgabe ein mehrtägiges Symposium dem Thema „Konstruktionen des Anderen. Roma und das Kino Mittel- und Osteuropas”. Bársony und ihr Archivkollege André Raatzsch (Kurator des Bereichs Bilderpolitik) waren zu Gast und stellten das soeben gelaunchte RomArchive in Wiesbaden vor.

Es versammelt Filmwerke über, vor allem aber von Roma und Romnija, wie das Debüt der Romni Galya Stoyanova PAGES OF MY BOOK, in dem sich die Regisseurin in eine Folklore-Version ihrer selbst verwandelt und das diese bei goEast 2019 ebenfalls persönlich vorstellte.

Um Identitätsfindung zwischen Fremdzuschreibungen und der eigenen Wahrnehmung geht es in Stoyanovas Kurzfilm – ein Thema, das vielen Roma am Herzen liegt. Denn nach wie vor werden Roma und Romnija in den europäischen Mehrheitsgesellschaften stark marginalisiert und sind überdurchschnittlich oft Opfer von rassistisch motivierter Gewalt**; das Wissen über die jeweiligen Communities, ihre Kultur(en) und Geschichte(n) ist unter den Nicht-Roma, aber auch bei Roma-Angehörigen selbst im besten Falle lückenhaft-verklärt, im schlechtesten Falle von negativen Stereotypen und Zuschreibungen geprägt.

PAGES OF MY BOOK (BG 2013, R: Galya Stoyanova)

 

Das Symposium unter Leitung der Filmwissenschaftlerin Barbara Wurm war ein grandioser Eye-Opener über die Entwicklung der Filmproduktion über und innerhalb der Roma-Gemeinschaft.

Es zeigte, wie sich filmische Roma-Bilder wandeln, unter anderem mit aktuelleren Dokumentarfilmbeiträgen wie Želimir Žilniks KENEDI GOES BACK HOME, TRAPPED BY LAW von Sami Mustafa, MERRY IS THE GIPSY LIFE von Ludmila Zhivkova, THE CURSE OF THE HEDGEHOG von Dumitru Budrala, oder aber Zdeněk Tyc’ einfühlsamem Drama BRATS.

Viele der Filme und Filmschaffenden sind im RomArchive zu finden oder sogar aktiv daran beteiligt.
Darunter der bosnische Regisseur und Oscar®-Preisträger Danis Tanović. Im Drama AUS DEM LEBEN EINES SCHROTTSAMMLERS erzählt er die Geschichte des Rom Nazif, eines bosnischen Schrottsammlers, und dessen Frau Senada, die eine Fehlgeburt erleidet und sich keine ärztliche Behandlung leisten kann. Die beiden spielen sich in dem halbfiktionalen Film selbst. Der Film gewann den großen Preis der Jury auf der 63. Berlinale, Nazif Mujić den silbernen Bären als Darsteller. Trailer, Filmstills, Plakate und viele Hintergrundinformationen finden sich im RomArchive hier. AUS DEM LEBEN EINES SCHROTTSAMMLERS kann aktuell bei Amazon Prime digital gekauft werden.

AUS DEM LEBEN EINES SCHROTTSAMMLERS (BHI/FR/SI/IT 2013, R: Danis Tanović)

 

* Übrigens, die in Deutschland – anders als sonst in Europa – gebräuchliche Doppelnennung „Sinti und Roma“ führt hin und wieder zu Verwirrung, weil Roma als Oberbegriff für die verschiedenen Bevölkerungsgruppen die Sinti mit einschließt. Die meisten der etwa 120.000 Roma-Angehörigen in Deutschland sind Sinti.

** beim jüngsten Anschlag im hessischen Hanau waren unter den zehn Ermordeten laut Roma Antidiscrimination Network drei Roma.